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BUCH - Gunter Gabriel mit Oliver Flesch "Wer einmal tief im Keller saß" (Verlag: Edel, ET: 08.10.2009) - - 19.10.2009

Posted by admin (admin) on 01.02.2010 at 11:52
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s²marketing informiert: BUCH: Gunter Gabriel mit Oliver Flesch "Wer einmal tief im Keller saß" (Verlag: Edel, ET: 08.10.2009)


Diese Woche kommt nun endlich das aufsehenerregende neue Album „Sohn aus dem Volke – German Recordings“ von Gunter Gabriel in die Läden.

 
Im Zuge dieses neuen Albums wird der außergewöhnliche Künstler zusammen mit Oliver Flesch ebenfalls ein Buch veröffentlichen, dass sein ungewöhnliches Leben in alles Facetten aufzeigt. In diesem Buch wird Tacheles geredet, denn nichts anderes würde man von diesem Musiker erwarten.
 

Gunter Gabriel scheint unkaputtbar. Oftmals wurde er tot geschrieben, oftmals belächelt - aber was auch immer passierte, dieser Kerl hat sich nie verkauft und damit nicht nur den Respekt anderer Musiker erworben sondern ganz allmählich auch den eines großen Teils der Nation. Aber wie kann ein Mensch, der einmal so erfolgreich war, so dermaßen abstürzen und zugleich so glücklich sein?


Gunter Gabriel erzählt sein unglaubliches Leben mit allen Höhen, Tiefen und Brüchen. Dabei schont er sich selbst am wenigsten und bewahrt dennoch seine Würde. Ein respektloses, höchst unterhaltsames und sehr menschliches Buch. Damit Ihr Euch ein noch besseres Bild von diesem Buch machen könnt, haben wir Euch eine ausführliche Leseprobe angehängt.

 
Live stellt er das neue Album und sicher auch ein paar Anekdoten aus seinem Buch, am Donnerstag, den 22. Oktober im Hamburger „Knust“ vor!

 

Zu den Autoren:

Gunter Gabriel, geboren am 11. Juni 1942 in Kirchlengen/Westfalen, Sänger, Komponist, Texter, Produzent, Fernsehmoderator, viermal verheiratet, lebt heute auf einem Hausboot im Hamburger Hafen.

Oliver Flesch, Jahrgang 1969, Journalist, TV-Redakteur, Drehbuchautor, Schriftsteller, lebt in Hamburg.

 

Gunter Gabriel mit Oliver Flesch - „Wer einmal tief im Keller saß - Erinnerungen eines Rebellen“
Hardcover mit Schutzumschlag
256 Seiten
Format 18,5 x 25 cm
€ 19,95 / sfr 34,50
ISBN: 978-3-941378-17-9
ET: 08.10.2009

 

FOTO: 1983 - Kreuzberger Lifestyle auf Kalle Ringenas Loft. Warum denn in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah

 


18 Ricky Shayne, Bob Dylan, Frank Zander und ich


Mein Leben war Anfang der 70er ein Trümmerhaufen. Sänger, DJ, Promoter, Ehe kaputt, kein Geld in der Tasche. Schulden. Nix funktionierte, worauf man was hätte aufbauen können. Bis Chris Juwens sagte: »Komm mit nach Berlin. Vergiss den ganzen Scheiß. Wir schreiben zusammen Songs: du den Text, ich die Musik. Und dann wirst du schon sehen, wie du zu Knete kommst.«


Und so kam es: Thomas Meisel nahm mich als Songschreiber unter Vertrag. Er selbst war damals Produzent von Ricky Shayne und Rex Gildo und leitete mit seinem Bruder Peter sehr erfolgreich den großen Musikverlag Hansa. In dieser Hitschmiede traf sich alles, was Rang und Namen hatte:
Drafi Deutscher, Howard Carpendale, Christian Anders, Roland Kaiser, Juliane Werding, Frank Farian. Und in den 80ern auch Dieter Bohlen. Hier entstanden die wahnsinnigen Sachen mit Boney M. und Modern Talking.


Hier wurde ich mit Frank Zander ein erfolgreiches Songwriter-Team und es entstanden Songs, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie je aus meinem Hirn kommen könnten. Das habe ich vor allem meinem Entdecker und Förderer Thomas Meisel zu verdanken. Aber das wusste ich 1971 noch nicht, als ich mit zwei Texten in der Tasche auf dem Tempelhofer Flughafen landete.


Peter Meisel war der härtere Part der beiden Meisel-Brüder. Ich saß eines Tages an seinem Schreibtisch und meinte lapidar: »Eigentlich möchte ich nicht nur Songs schreiben, sondern auch singen.« Daraufhin stand er auf, ging zu seinem Wandschrank, öffnete die Tür und winkte mich zu sich ran. Auf der Innenseite der Tür war ein großer Spiegel. »Guck da rein. Was meinst du, ob man von dem Typen je eine einzige Platte verkaufen kann?« Und dann hielt er mir das neueste Cover von Howard Carpendale vor die Nase. Und dann das von Christian Anders. Und das von Drafi Deutscher. Mir schossen die Tränen in die Augen und ich war schneller draußen als ich reingekommen war. Und ich hasste ihn dafür. Er erinnerte mich ein wenig an meinen Vater. So ein Mistkerl. Aber vielleicht hatte er recht.


Und während Christian Anders mit einem goldenen Rolls Royce durch die Stadt segelte und Ricky Shayne mit dem neuesten Cadillac, fuhr ich immer noch einen alten, rostigen VW Variant. Und kriegte keine müde Mark auf die Naht. »Du kannst in unseren Studios Aschenbecher leeren und Kaffee kochen. Du kannst für unsere Künstler die Anlagen aufbauen oder als Fahrer arbeiten. Diese Branche bietet jedem etwas. Du musst nicht unbedingt Sänger oder Songschreiber werden, wenn das Talent nicht reicht.« Peter Meisel war unbarmherzig. Er war der Torero, ich der Stier. Und ich lag geschlagen im Sand.


Alle Songs, die ich auf Kommando schreiben sollte, fielen durch. Und Thomas Meisel wurde zunehmend enttäuschter. Ich brachte einfach nichts auf die Beine. Inzwischen hatte das zweite Vertragsjahr angefangen. Und kein Erfolg in Sicht. Die Vorschusszahlungen drohten mich zu erdrücken. So arbeitete ich nachts in diversen Diskotheken und Clubs in Berlin und Gaby bei einer Autofirma im Büro. Dem anfänglichen Glücksgefühl wegen der neuen Situation folgte mit der Zeit jähes Entsetzen. Auf dem Damoklesschwert, das über mir hing, standen Gabys Worte: »Ich hab's ja gleich gewusst. Hättest du doch zu Ende studiert, dann wärst du jetzt Ingenieur.«

 

FOTO: Mitte der 70er - Hans Blume, Geschäftsführer von Hansa Records überreicht mir die goldene Kogge

 

Trost gab mir Fred Jay. Er war zwanzig Jahre älter als ich, er wusste, wie das Handwerk läuft. Wir saßen oft in der kleinen Konditorei auf der Wittelsbacher Straße in Berlin und er gab mir Tipps. »Guck dir die Country-Charts an. Die Hot One Hundred. Da sind immer 'n paar Song-Ideen dazwischen, mit denen du was machen kannst.« Und dann drückte er mir das neueste Billboard-Magazin aus den USA in die Hand und sagte: »Du machst das schon. Alles braucht seine Zeit.«


Jay war eine Seele von Mensch. Der promovierte Jurist war vor den Nazis in die USA geflohen, hatte dort beim Radio gearbeitet und in den Sechzigern Songs wie »What Am I Living For?« für Ray Charles geschrieben. Mit fast fünfzig kehrte der Jude Jay 1963 ins Land der Täter zurück.
Zwei Jahre später schaffte er es mit der Interpretation des Johnny-Mathis-Songs »When A Child Is Born« ins Guinness-Buch der Rekorde. Sein Rekord: Zweihunderteinundzwanzigtausend Platten wurden allein am Veröffentlichungstag verkauft. Er gab seinen Job beim RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) Berlin auf und schrieb Superhits für Howard Carpendale, Udo Jürgens, Katja Ebstein und viele andere. Und als in den
Siebzigern englischsprachige Texte gewünscht wurden, war Jay – und mit ihm die Gruppe Boney M. – wieder ganz weit vorne dabei. Bei allem Erfolg trat der bescheidene Intellektuelle mit dem altösterreichischen Charme nie ins Rampenlicht. Er holte noch nicht einmal seine Goldenen Schallplatten ab.


1985 zog Jay mit seiner Familie nach New York. Nur drei Jahre später starb er im Alter von fünfundsiebzig Jahren. Gerade mal zwanzig Menschen kamen zur Trauerfeier des erfolgreichsten Hitschreibers der Siebzigerjahre. Nur eine kleine Friedhofskapelle, ein einfacher Holzsarg, keine Reden, nur ein Lied, sein erstes: »Dankeschön, es war bezaubernd«. Das hätte ihm gefallen, er war so ein zurückhaltender Mensch. Ich wäre gern dabei gewesen, aber ich erfuhr leider erst später von seinem Tod.


»Nur nicht die Nerven verlieren, mein Lieber, du wirst eines Tages ein wirklich guter Songschreiber werden, glaube mir.« Diese Worte von einer Legende wie Fred Jay zu hören, war für mich mehr als ein Ritterschlag. Sie gaben mir Mut und Kraft. Alles Dinge, die ich auch dringend brauchte, denn in manchen Monaten spielten die Tantiemen der Songs, die ich für andere schrieb, noch nicht einmal meinen Vorschuss ein. Mit dem Geld kam ich gerade mal bis zum Zehnten des jeweiligen Monats klar. Und am Ende des Geldes war noch viel Monat übrig.


Deshalb heuerte ich nebenbei wieder als DJ an. Diesmal in der »Dachluke« in Berlin-Kreuzberg. Der Laden, ursprünglich vom Senat als so eine Art Jugendzentrum geplant, war total runtergewirtschaftet. Anfangs stand ich mit den Angestellten alleine drin. Doch schon nach einigen Wochen brach er – vor allem am Wochenende – auseinander. Durch meine langjährige Erfahrung hatte ich es einfach drauf, Menschen in Stimmung bringen.
Vor allem mit meiner gnadenlos kommerziellen Musikmischung. Klar spielte ich am liebsten englischsprachige Songs, Rock und Soul, T-Rex und Curtis Mayfield, solche Nummern, denn es gab ja nichts wirklich Gutes auf Deutsch. Aber ich scheute mich auch nicht, immer mal wieder Schlager einzubauen, die gerade bei den ganz jungen Gästen gut ankamen. Zwischendurch ließ ich lockere Sprüche (oder was ich damals dafür hielt) los, wie zum Beispiel: »So Leute, das Quadrat dort unten ist kein Hubschrauberlandeplatz – es darf ruhig getanzt werden!«


Da ich groß und relativ stark war, musste ich auch ran, wenn es Stress gab. Was häufig vorkam. Es war wie so oft im Leben: Einmal gewinnst du, einmal verlierst du. Ich hab wahrlich einige Male richtig vors Brett bekommen. Obwohl: Meist gelang es mir, die Leute zur Vernunft zu bringen, bevor der Ärger richtig losging. Was nicht immer einfach war, denn wir hatten ziemlich harte Jungs im Laden.


Weihnachten 72 kündigten sich die Hell's Angels aus Hamburg an. Als der für uns zuständige Senatsmitarbeiter das hörte, wollte er die »Dachluke« über die Festtage schließen. »Viel zu gefährlich, viel zu gefährlich, viel zu gefährlich«, sagte er. »Die nehmen uns die ganze Bude auseinander. Die wollen Blut sehen.« Schwachsinn, dachte ich. Die wollen doch auch nur ein bisschen feiern. Allerdings eilte ihnen ein bitterböser Ruf voraus, und man hatte uns alle gewarnt: »Die machen euch alle platt hier in Berlin. Hamburg gegen Berlin. Das wird eine Schlacht ohne Ende.«

 

Ich tat unerschrocken. Vielleicht war ich auch naiv. Jedenfalls gab ich die Order aus: »Schickt die Jungs gleich zu mir, ich habe 'ne kleine Überrauschung für sie!« Und dann kamen sie. Riesige Typen auf ihren Harleys, die sie in einer Reihe auf dem Bürgersteig parkten, bewaffnet mit Ketten und Schlagringen. Ich spielte gerade »Am Tag, als Conny Kramer starb«, als eine Barfrau ganz aufgeregt zu mir kam. »Sie sind jetzt da, Gunter! Sie sind jetzt da!« Ich drehte Juliane runter und Deep Purple hoch – »Smoke On The Water«. Und da standen sie: die starken Jungs aus Hamburg. Ich sprang zu ihnen runter und sagte: »Hallo, ich bin Gunter, der DJ, schön, dass ihr gekommen seid!« Der Anführer nickte mir zu, sah mich mit einer Mischung aus Misstrauen und Belustigung an, schätze, er war sich nicht sicher, ob ich ihn verarschen wollte. »Holt mal eure Maschinen hoch, im Lastenaufzug, und dreht mal 'ne Runde hier durch den Laden.«

Um die tausend Leute passten in den Club, der im sechsten Stock einer Fabrik lag. Nach dreißig Minuten waren alle Maschinen oben. Sie drehten eine Runde mit aufgerissenen Scheinwerfern. Ein Höllenlärm, ein infernalischer Gestank. Und dann rief ich den Boss zum DJ-Pult ans Mikrofon. »Hier, lies die Weihnachtsgeschichte«, und drückte ihm die Bibel in die Hand. Das Gesicht hättet ihr sehen müssen. Hätte ich ihm gesagt, er solle sich auf den Rücken legen, den Arsch hoch strecken und versuchen, sich selbst einen zu blasen, hätte er wohl auch nicht weniger erstaunt geguckt. Ich drückte ihm eine Flasche Jim Beam in die Hand und er fing an zu lesen.
Ich unterlegte das Ganze mit einem passenden Musikteppich, und mit den vielen Kerzen, die wir überall verteilt hatten, kam tatsächlich so etwas wie
weihnachtliche Stimmung auf. Während er las, verteilten die Barfrauen eisgekühlten Freisekt im ganzen Laden. Als er fertig war, sangen wir alle gemeinsam »Stille Nacht, Heilige Nacht«. Und alle Angels sangen mit! Ein grotesker Augenblick, aber irgendwie auch ein schöner.

Ein rundum gelungener Abend. Das sah die Berliner Kultursenatorin auch so und gab mir eine Gehaltserhöhung: Viertausend Mark im Monat für die Schicht von sechzehn bis dreiundzwanzig Uhr! Also fast das Vierfache von dem, was ich bei Hansa kriegte. Ein Haufen Schotter, den ich dankbar annahm.


Es ging nicht immer so glimpflich ab, wie mit den Hell's Angels aus Hamburg. In einer Disco in Bad Reichenhall, Jahre vorher, hatte mich mal ein Zuhälter auf der glatten Tanzfläche so ausgeknockt, dass ich einen Salto rückwärts hinkriegte. Und mich mit einer Riesenbeule am Hinterkopf und ramponierten Kniescheiben kleinlaut wieder hinter das DJ-Pult verkriechen musste. Warum hatte er mir das angetan? Ich hatte seine Perle angebaggert, übers Mikrofon. Das konnte er absolut nicht akzeptieren. Schnauze halten war angesagt.


Mein späterer Freund und Archivar Kalle Ringena hat nie vergessen, wie er mich zum ersten Mal als DJ am Pult gesehen hat. Es hatte sich bis zu ihm herumgesprochen, dass ich so bekloppt war, auf der einen Seite einen Song von Abba zu spielen, danach Reinhard Mey oder James Brown und dann Tony Marshall mit »Schöne Maid«. Normalerweise ein No-go. Für mich ein Erfolgsrezept, und alle fanden es klasse. Kalle konnte nicht glauben, was man ihm erzählt hatte, und so tauchte er eines Nachts auf.
Auf einmal: Ein Handgemenge auf der Tanzfläche. Zwei Typen gingen mit abgeschlagenen Bierflaschen aufeinander los. Und dann passierte etwas, was er noch nie gesehen hatte: Ich schwang mich vom DJ-Pult runter und drängte mich zwischen diese beiden Kampfhähne. Unerschrocken, ohne wenn und aber. Ohne zu zögern. Zwei, drei Minuten später standen die beiden Jungs, die sich vorher noch beinahe umgebracht hätten, mit mir
zusammen an der Bar und wir ballerten uns 'ne Flasche Bier hinter die Binde. Kalle konnte es nicht glauben. Das hatte er noch nie gesehen. Ich war ein Schlichter, von Natur aus. Kaum zu glauben, aber wahr. Heute bin ich eher als Trouble-Maker verrufen. Was aber falsch ist. Weil ich in Wirklichkeit ein Peace-Maker bin, also ein friedliebender Mensch, allerdings mit einigen rebellischen Attitüden.


In Berlin nannte man mich den »Singenden DJ«, da ich immer mal wieder zur Gitarre griff und einen rausließ, was ziemlich gut ankam. Über meinen Kumpel, den Schlagersänger Peter Orloff (»Ein Mädchen für immer«), bekam ich für fünfzig Mark ein Playback meines Schlüsselsongs »Me and Bobby McGee«, den ich zum ersten Mal bei Jürgen Kramar gehört hatte, einem Label-Manager bei CBS. Der Song stammte von Kris Kristofferson, den ich bis dahin nicht gekannt hatte und der diesen Song an Janis Joplin weitergab, die damit einen Monsterhit landete. Die Titelzeile des Refrains: »Freedom's just another word for nothin' left to lose« wurde zu meiner Lebensphilosophie. Und jetzt hatte ich dieses Playback, dieses billige Ding. Es war mies eingespielt, ihm fehlte völlig die lockere Zurückhaltung des Originals, doch das spielte keine Rolle. Ich hatte Kristoffersons Song in »Freiheit ist ein Abenteuer« eingedeutscht und wollte nun unbedingt hören, wie Text und Musik zusammen klangen. Gut, wie ich fand. Nicht wie das Original, klar, aber besser als die ganze Schlagergrütze, die sonst so produziert wurde. In die »ZDF-Hitparade« würde ich es damit nicht schaffen, aber das brauchte ich auch noch nicht. Schließlich gab es da ja noch die »Dachluken«-Hitparade, die ich selbst organisierte.


Eines Abends nahm ich dann mit »Freiheit ist ein Abenteuer« selbst teil. Es wurden gut tausend Stimmzettel verteilt, die ich selber auszählte. Es wäre also ein Leichtes gewesen, mich auf Platz eins zu hieven. Brauchte ich aber gar nicht. Ich bekam tatsächlich die meisten Stimmen!

Innerlich stolz wie Oskar, äußerlich völlig gelassen, erzählte ich Meisel am Montag davon. Er bat mich, ihm den Song vorzuspielen. Nichts lieber als das. Ich schnappte mir meine Gitarre, stellte mich in die Mitte des Raums und sang um mein Leben. Zusehends nervöser werdend, da ich Meisels Gesichtsausdruck nichts, aber auch gar nichts ablesen konnte. Doch dann erlöste er mich mit folgendem Satz: »Das, mein Bester, nimmst du aber mal direkt auf!« Aber gerne doch! Auf die B-Seite packte ich »Fünf Uhr morgens«, eine Talking-Ballade von Susanne Tremper, der damaligen Frau von Hannes Wader, den ich bis heute für seine genialen Texte bewundere.


Durch meine Zeit bei CBS und Hansa wusste ich, wie wichtig Promotion ist, um aus einem Song einen Hit zu machen. Und wir brachten »Freiheit ist ein Abenteuer« ganz ohne Werbung raus. Und verkauften fünfzigtausend Singles! Ich konnte es kaum glauben! Und genießen schon mal gar nicht. Klar, freute ich mich. Aber eigentlich war der Song nur die Eintrittskarte ins Musikgeschäft, in dem ich es nun endlich wissen wollte.
Mit »Freiheit ist ein Abenteuer« hatte ich mich bei Hansa etabliert, auch wenn Peter Meisel mich lieber als Aschenbecher-Ausleerer im Studio gesehen hätte. Etabliert, ja, doch sonderbarerweise nur als Texter, als Interpret nahm man mich immer noch nicht für voll. Egal, meine Zeit wird schon noch kommen, dachte ich, und lebte meine neu gewonnene Freiheit als Schreiber aus, indem ich immer mehr Country in meine Songs einfließen ließ. Meisel gefiel mein Sound sehr, nur wusste er nicht so recht wohin damit.


»Wir sollten bald mal einen passenden Sänger für deine Songs finden, sonst musst du sie am Ende noch selber singen, Gunter!«, sagte Thomas Meisel eines Nachmittags im Scherz. Ein Scherz, über den ich irgendwie nicht lachen konnte. Was, fragte ich mich, muss noch passieren, damit die endlich kapieren, was ich will? Ich wollte doch Geschichtenerzähler werden und kein Schlagerfuzzi.

Und zu dem Zeitpunkt trat Ricky Shayne in mein Leben. Ricky war das Sexsymbol der Siebziger, durchgeknallt aber cool. Er gab 'nen Scheiß auf gesellschaftliche Konventionen, ein bisschen war er so wie ich. Er hatte gerade einen Monstersong am Start: »Mamy Blue«. Ich hatte ihn ein paar Mal bei Hansa getroffen, aber wirklich kennengelernt habe ich die coole Sau an einem Montagabend in der sogenannten »Todeszelle«.


Die Hotelbar im »Schweizer Hof« in Berlin hieß offiziell eigentlich »Wappenbar«. Nach jeder Aufzeichnung traf sich dort die »Hitparaden«Gemeinde unter Dieter Thomas Hecks feuchtfröhlicher Führung. Und weil an diesen Abenden immer mal wieder jemand auf der Strecke blieb – genauer: vom Hocker kippte – nannten wir die Bar halt »Todeszelle«. Offiziell eingeladen war ich anfangs nicht. Ich gehörte ja noch nicht wirklich dazu. Wollte ich aber gern. Schließlich war es die Branchenkontaktbörse schlechthin. Der Torwächter des Schlagerwalhalla war der Rezeptionist des Hotels, und nachdem ich ihm ein paar Mal die neuesten Schallplatten mitgebracht hatte, war auch er der Meinung, dass ich zwingend dazugehören müsse. In der »Todeszelle« vertiefte ich die Kontakte zu den Schlagerstars. Mit einem Fünfhunderter lockte ich einige, die gerade in der »Hitparade« aufgetreten waren, in die »Dachluke«. So auch im Oktober 1972.


»Eben noch in der .ZDF-Hitparade‹ auf Platz eins und nun live in der .Dachluke‹: Mouth and MacNeal mit dem Song .How Do You Do‹!«
Das war auch für mich immer eine große Sache. Doch zurück zu Ricky Shayne. Ricky, der keinen Alkohol trank, dafür Joints rauchte wie andere Leute Zigaretten, schickte einen seiner Jungs zu seinem Cadillac, um seine Gitarre zu holen. Bevor er loslegte, baute er sich erst noch mal einen. Das allein war eine Schau. Er zog den Filter mit den Zähnen raus, blies den Tabak in seine Hand, erhitzte das Hasch, vermischte es mit dem Tabak und sog das ganze wieder in die Zigarette zurück. Mit der Fingerfertigkeit eines Magiers hatte er eine normale Zigarette innerhalb von dreißig Sekunden in einen Joint verwandelt. Nach ein paar Zügen klemmte er das Teil wie Keith Richards zwischen Kopfplatte und Saiten und spielte die ersten Takte eines verwegenen Intros.


»Dieser Song, Bruder« – Ricky hatte verdammt viele Brüder, ich war einer von ihnen – »ist ganz speziell für dich, mein Freund!« Und dann ging's los! »Wanted man in California, wanted man in Buffalo, wanted man in Kansas City, wanted man in Ohio ...« Ricky lag richtig. Dieser Song war wirklich etwas für mich. In dieser Nacht sang er es bestimmt fünfzigmal in mein Öhrchen. Er wurde zunehmend high und ich immer betrunkener. Am nächsten Tag übersetzte ich den Song ins Deutsche und war ein wenig enttäuscht. Inhaltlich gab er nicht viel her. Kein Vergleich zu »Me and Bobby McGee«. Es war eine willkürliche Aneinanderreihung von amerikanischen Städtenamen. Was auch Poesie sein mochte, aber eine, die sich mir nicht erschloss. Mein Text brauchte mehr Fleisch. Mit einer Eins-zu-eins-Übersetzung war es diesmal nicht getan. Hm. Da wird jemand gesucht, ein Wanted Man, warum wird er gesucht? Weil er etwas angestellt hat – klar, aber was? Jemanden umgebracht? Nein, das ist zu hart. Eine Bank überfallen? Schon eher, aber auch nicht wirklich nah dran am Leben der einfachen Leute. Worum dreht es sich in den meisten erfolgreichen Songs? Um Liebe. Wie lässt sich Liebe mit einer Straftat verbinden? Mord aus Eifersucht? Wäre der Klassiker, aber Mord wollte ich ja nicht. Er könnte ein Betrüger sein. Er könnte sein Mädchen um Geld betrügen. Auch irgendwie unromantisch. Frauen könnten ihm ihr Geld freiwillig geben und erst die Gesellschaft eine Art Heiratsschwindler aus ihm machen …


Das war es! Eine Stunde später war der Text von »Ich werd' gesucht in Bremerhaven« fertig. Nun gab es nur noch eines zu tun. Ich musste meine Übersetzung von Bob Dylans deutschen Agenten absegnen lassen. Denn es war Dylan, der »Wanted Man« für Johnny Cash geschrieben hatte. Im schlechtesten Fall hätte er mir die Zustimmung verweigern können. Aber so war der gar nicht drauf. Im Gegenteil: Nachdem ich ihm den Song mitsamt dem von mir neu komponiertem Mittelteil vorgespielt hatte, sagte er lapidar: »Lass uns da mal nicht so eine große Sache draus machen, schreib .Musik & Text: Gunter Gabriel‹ drunter und damit hat sich's.« Vielleicht dachte er, aus meinem Song wird eh nichts. Vielleicht hatte er auch einfach nur keine Lust auf Papierkram, ich weiß es nicht, aber eines weiß ich: »Ich werd' gesucht in Bremerhaven«, der Song über einen Heiratsschwindler, ist zu achtzig Prozent geklaut. Kleine Ironie des Schicksals.


Nun musste ich nur noch Meisel von dem Potenzial meines Songs überzeugen. Dachte ich. War unnötig. Er brauchte nicht überzeugt zu werden. Ich hatte meine Fassung noch nicht einmal bis zum Ende vorgespielt, da sagte er schon: »Das Ding muss auf den Markt! Und zwar schnellstens!« Ach, jetzt soll es auf einmal ganz schnell gehen? Warum nicht gleich so?


Jetzt kommt Frank Zander mit ins Spiel: Der war nämlich ein ganz passabler Gitarrist in der Band Gloomys, die wiederum die Begleitband von Michael Holm und Christian Anders war. Er selbst hatte lediglich einen Versuchsballon gestartet mit dem Song »Erna«, der mir zwar unheimlich gut gefiel, aber nicht wirklich knallte. Und so friemelte ich mit ihm zusammen das Playback zu »Ich werd' gesucht in Bremerhaven« zusammen. Auf der Rückseite die deutsche Version des wunderbaren Songs von Dr. Hook »Cover Of The Rolling Stone«, der bei uns »Wär ich doch nur ein Rolling Stone« hieß und in dem Frank Zander stimmlich eine kleine Nebenrolle spielte.

 

Im Gegensatz zu »Freiheit ist ein Abenteuer« wurde für »Ich werd' gesucht …« die komplette Marketingmaschinerie angeworfen. Mit vollem Erfolg. Zwei Monate später, am 4. August 1973, war ich zu Gast in der »ZDF-Hitparade«. Diesmal als Künstler, nicht als Künstlerbetreuer wie die Monate zuvor. Bei der Generalprobe spielte ich mein Lied vor Marianne Rosenberg, Michael Holm, Cindy und Bert, Rex Gildo und den anderen üblichen Verdächtigen. Als der letzte Takt verklungen war, standen alle auf und applaudierten – ich bekam also Standing Ovations, wie der Lateiner sagt. Zuerst dachte ich, die wollten mich, den Newcomer, verarschen, aber nein, die liebten meinen Song wirklich! Kurz vor meinem eigentlichen Auftritt nahm mich Michael Holm, der mit »Lady of Spain« mal wieder den ersten Platz blockierte, beiseite: »Du hast ein echtes Problem, Alter!« – »Und das wäre?« – »Du wirst nie wieder so einen guten Song schreiben wie diesen!« Ich hatte echt Muffe, dass er recht haben könnte.


Keine Ahnung, warum er das sagte. Vielleicht wollte er mich anspornen, vielleicht wollte er dem Neuen auch einfach nur mal zeigen, wo es lang geht. Mir war's egal. Ich zog das Positive raus. Michael Holm mochte meinen Song. Das war doch schon mal was. Als Heck meinen Namen aufrief, schlotterten mir buchstäblich die Knie. Damals war die »Hitparade« ein Straßenfeger. Millionen Menschen schauten zu. Unsicher und ungelenk hielt ich mich an meiner Gitarre fest und versuchte, mein Bestes zu geben. So einen Song hatte man in der »Hitparade« noch nie gehört. Weder musikalisch, noch textlich. Ein kleiner Kulturschock. Aber einer, der die Menschen eher faszinierte als verschreckte. Als der Applaus einsetze und immer tosender wurde, durchströmte mich ein bis dahin unbekanntes Glücksgefühl. Ein magischer Moment, ganz ohne Zweifel.


»Ich werd' gesucht …« kam nicht unter die ersten Fünf. Dafür war der Text dann doch zu ausgefallen. Freddy Breck, ein zugegebenermaßen hübscher Mann, schoss mit seinem fürchterlichen Schlager »Rote Rosen« von Null auf Eins der Neuvorstellungen. Was einiges über den damaligen Geschmack sagt. Deutschland war noch nicht so weit. Ich bekam einen Sack voll Briefe, Zuspruch von Huren und Zuhältern, die meine Zeilen wohl etwas zu wörtlich nahmen, Drohbriefe von ganz »normalen« Bürgern, die meinten, ich gehöre in den Knast und keinesfalls in ein Fernsehstudio, aber auch viel Post von Menschen, die es großartig fanden, dass mein Song mal nicht in »Mendocino« oder an einem anderen exotischen Ort, sondern in Wuppertal und Mönchengladbach spielte.


Noch in der Woche des »Hitparaden«-Auftritts bekam ich ein Angebot für eine Tour durch vierzig Clubs. Ohne zu zögern nahm ich an. Nicht nur wegen des heißen Eisens, das man schmieden muss – ich wollte wissen, was da noch so geht im Land. Und ich kann sagen: Da ging so einiges. Allein bei meinem ersten Auftritt im »Mississippi« in Essen standen meine Fans Schlange – satte hundert Meter lang. Die Menschen mochten mich, sie mochten meine Musik. Ich mochte, was ich machte – es war eine fantastische Zeit. Und es war gut, dass ich sie genoss. Ich fuhr einen gebrauchten Drei-Liter-BMW, im Handschuhfach immer eine Flasche Jägermeister. Und bevor ich meinen Auftritt begann, Halbplayback noch, war ich schon so angeknallt, dass ich alle Bedenken, vor diesem unbekannten Moloch Zuschauer zu versagen, betäubt hatte. Und wenn auch mal zwei oder drei Saiten von meiner Gitarre rissen: Ich spielte einfach weiter, auf Teufel komm raus. Es war einfach fantastisch. Weil nach all den Jahren der Entbehrung und der unerfüllten Träume, nach all den Jahren der Angst und der Unsicherheit endlich ein Feedback kam, das mich in eine Position brachte, die weit weg war von der üblicher Schlagerheinis, die ja eigentlich meine Freunde waren. Es brachte mich in die Position, dass ich mich von meinem normalen Leben überhaupt nicht entfernen musste. Ich konnte einfach so bleiben, wie ich war: Ein bisschen freaky, ein bisschen Revoluzzer, ein bisschen Macho, ein bisschen Punk, ein bisschen Proll. Aber mit einer ungeheuren Energie, Lebenslust und Fröhlichkeit, ungehemmt.
Und wer konnte das wirklich von sich behaupten? Rex Gildo sagte einmal zu mir bei einer Tournee: »Du hast es gut. Du kommst einfach an mit 'ner Adidas-Tasche und Cowboystiefeln drin, schnappst dir deine Gitarre und los geht's. Während ich meine zehn Meter lange Kleiderstange mit mir rumschleppen und mich wie ein Clown stylen muss.« Aber genau das war's – und es ist auch heute noch so. Ich bin mit meinen Songs komplett
identisch. Als Sänger bin ich so, wie ich auch im realen Leben bin. Und vielleicht bin ich deshalb auch so glücklich und ungehemmt.


Dennoch war es nicht ganz einfach auf dem Teppich zu bleiben, wenn man fast ein Jahrzehnt lang gekämpft hat, um nach oben zu kommen. Und es sprach ja auch nichts dagegen, nach den ganzen Enttäuschungen, Rückschlägen, beruflich wie privat, auch einmal richtig die Sau rauszulassen. Ich war absolut high. Und das ging bis zum Übermut. In Berlin konnte ich in der Zeit so ungefähr alles machen, was ich wollte. Aber dazu später mehr.


Nach meiner ersten Tournee musste erst mal ein neues Auto her. Was für eins? Klar, ein Jaguar, Zwölfzylinder. Wofür war ich Schrauber bei Jaguar gewesen? Mit der Karre kannte ich mich echt aus. Ich liebte sie. Also packte ich meine Eintrittsgelder – so um die fünfundvierzigtausend Mark – in eine Plastiktüte von Karstadt und stellte sie dem Händler am Ku'damm auf den Tisch und sagte: »Den da vorne will ich!« Neulich traf ich den Verkäufer von damals und er erzählte mir noch mal die ganze Geschichte: »Da kommst du doch glatt mit fünfundvierzigtausend Mark in kleinen Scheinen in den Laden. Bei zwanzigtausend in Fünfern, Zehnern und Zwanzigern habe ich es erst mal aufgegeben, zu zählen, holte die Karre aus dem Verkaufsraum und sagte: .Ich zähle morgen weiter‹.« Ich kriegte rote Nummernschilder und weg war ich.


Doch es gab da etwas, was mich daran hinderte, komplett Rock-'n'-Rollmäßig durchzudrehen. Angst. Angst, durch eine falsche Entscheidung all das zu zerstören, was ich mir mühsam aufgebaut hatte. Jetzt nur keinen Fehler machen! Und vor allem: Nicht verheizen lassen! Das nahm ich mir ganz fest vor. Nicht gleich den nächsten Song rausbringen, nur weil der Markt danach giert. »Ich werd' gesucht …« war ein Kracher. Aber der nächste Song musste noch ein größerer Kracher werden. Und diesmal wollte ich mich auch nicht bei anderen bedienen. Ich war reif. Reif für ein komplett eigenes Werk. Doch dafür brauchte ich Zeit. Das Problem war nur: Thomas Meisel machte Druck. Nach meinen beiden ersten kleinen Hits sollte nun marktüblich eine Langspielplatte folgen. Ich ließ mich breitschlagen, ein paar Songs lagen ja auch noch in der Schublade, ein wirklicher (Nachfolge-)Hit war allerdings nicht dabei.


Was war privat eigentlich los, damals, zu der Zeit? Gaby war noch am Start, aber unsere Ehe ziemlich lädiert. Ich hatte einige Male schwer danebengegriffen, war fremdgegangen in meinem Leichtsinn und meinem Übermut und meiner Verführbarkeit. Ich hatte mir eine Menge unliebsamer Nebenerscheinungen eingefangen: Gonokokken. Und zwar um die zwanzig Mal. Man muss sich das mal vorstellen. Zum Schluss brauchte ich so viel Penizillin, um die Biester kaputt zu kriegen, dass ich beinahe dabei hops gegangen wäre. Im Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin kannte man mich schon als Dauersünder. Peinlich, peinlich. Und Gaby? Auch sie kriegte manchmal 'ne Schütte Gonokokken mit ab und so passierte, was passieren musste: Sie hatte sich einen anderen gesucht, den Günter-Netzer-Typen mit seinem Porsche Targa. Doch bevor alles den Bach runterging, wollte ich all diese Scheiße noch mal retten, damals in der Berliner Philharmonie.


Dort gab es nämlich eine Galaveranstaltung aller angesagten Schlagergrößen. Lord Knut von den Lords moderierte, und das mehr schlecht als recht. In der Pause ging ich zu Knut hinter die Bühne, mir langte es … »Alter, das ist doch alles Affenscheiße! Trotz Jürgen Marcus, Marianne Rosenberg und Mouth and MacNeal ist hier eine Stimmung wie auf dem Zentralfriedhof in Chicago – das geht doch nicht! « Knut, den ich von der Hansa kannte, sah mich ungläubig an, in seinem Blick las ich: »Was bildet sich dieser Neuling eigentlich ein, dem zeig ich's!« – »Dann mach's doch besser!« sagte er provozierend. Das machte ich dann auch. Nur mit einer akustischen, aber natürlich verstärkten Gitarre setzte ich mich auf einen Barhocker mitten auf die Bühne. Die meisten hätten bei der eh schon miesen Stimmung auf einen partymäßigen Abgehsong gesetzt, aber ich wollte was anderes: Ich wollte Gaby eine Liebeserklärung machen. Genau da, wo sonst Herbert von Karajan seine Philharmoniker dirigierte. Genau da. Mit einem der schönsten Songs aller Zeiten: »If I Were A Carpenter« von Tim Hardin. Auf Deutsch natürlich. Wie ich es von Cash und Konsorten gelernt hatte, begann ich nach den ersten Takten mit einem gesprochenen Intro: »Dies Lied ist für Gaby, meine Frau, sie sitzt dort hinten, in Reihe zehn – Darling, ich liebe dich!« Das Publikum schrie vor Begeisterung. So etwas kannten die überhaupt nicht. Dabei hatte ich noch gar nicht richtig angefangen. Alle dachten, es wäre nur ein Gag mit dem »Ich liebe dich«, aber ich hatte verdammte Verlustängste. Und all die Nächte, die sie nicht in meinem Bett lag, sondern in dem von diesem Günter-Netzer-Typen. Ich wollte sie ein für alle Male mit diesem Song zurückgewinnen.

 

Wenn ich nur ein Bettler wär, und du wärst eine Lady
Möchtest du dann trotz alledem von mir ein Baby?
Wenn ich nur ein Maurer wär, würdest du mit mir geh'n?
Und meine Hände voller Dreck und Schweiß
ganz einfach überseh'n? 


Zweitausend Menschen lagen mir zu Füßen. Nein, stimmt gar nicht: tausendneunhundertneunundneunzig. Gaby zeigte sich unbeeindruckt. Knut dagegen wollte sich gar nicht wieder einkriegen. Allerdings eher aus Verständnislosigkeit über das »komische Lied«, das ich gesungen hatte. Von so vielen Menschen Zuspruch zu bekommen, war großartig. Es lief mir heiß und kalt den Rücken runter. Es wurde gefeiert die ganze Nacht. Ich kroch auf allen vieren nach Hause. Das Bett war leer. Gaby war trotz der Liebeserklärung zu ihrem Günter Netzer abgedampft. Scheiße.

Vorerst musste ich also einen neuen Song schreiben, und der kam dann auch. Und nicht nur einer, sondern zwölf. Genug für ein ganzes Album.

Frank Zander mit den Gloomys musste her. Chris Juwens spielte Piano, Frank die Leadgitarre, Reinhard Kosel Orgel, Michael Auerbach Schlagzeug und Jessica John trällerte ein bisschen im Hintergrund. Im Frust ist man zu den stärksten Emotionen fähig und so spielten wir innerhalb kurzer Zeit in der Wittelsbacher Straße im ersten Stock eine komplette Langspielplatte ein. Das waren alles keine Studioprofis, eher war das eine Tanzmuckeband, aber darin lag auch ein gewisser Reiz. Ich spielte den Jungs meine neuen Songs auf der Westerngitarre vor, sie notierten die Harmonien, und wir
probten die Lieder, bis sie einwandfrei rüberkamen. Dann spielten wir sie live ein. Es wurde noch ein bisschen am Sound rumgeschraubt und nach einer knappen Woche hatten wir für schlappe zehntausend Mark die komplette LP eingespielt. Wir nannten sie »Gesucht«. Für das Cover hatte ich eine schöne Idee. Wir setzten zwei klassische Verbrecherfotos von mir, Fotos, die ich für zwei Mark am Bahnhof im Fotoautomaten geschossen
hatte, frontal und im Profil, in die Mitte und schrieben drunter:

GESUCHT - Gunter Gabriel
Jahrgang: 1942
Größe: 190 cm
Haare: lang, mittelblond
Augen: blau
Gewicht: 90 Kilo
Schuhgröße: 45
Typ: anpassungsunwillig
Stil: singt völlig ungewöhnliche Lieder
Gesucht: von Kennern und Gleichgesinnten

Im Herbst 1973 hielt ich voller Stolz meine erste Langspielplatte in der Hand. Elf Songs. Gute Nummern dabei. Meine beiden kleinen Hits halt, drei Coverversionen großartiger US-Songs und der wohl nachhaltigste Song »Er ist ein Kerl«, besser bekannt als »30-Tonner-Diesel-Song«, für den ich später die »Goldene Europa« bekam, was heute dem »Echo« entspricht. Ich wurde zum besten Nachwuchssänger des Jahres gekürt. Unfassbar.

Diesen »30-Tonner-Diesel-Song« hatte ich bereits 1972 im Senegal, Westafrika, geschrieben, und zwar im Club Aldiana, einem NeckermannFreizeit-Club direkt an der herrlichen afrikanischen Elfenbeinküste. Dieser Club war komplett neu und in der Diskothek – das hatte man mir schon gesteckt, als ich noch in Deutschland war – gab es noch keine einzige Platte. So packte ich zwei große Reisekoffer voll mit all den Platten, die ich noch aus meiner DJ-Zeit hatte, und machte mich mit meinem Freund Horst Grüne auf den Weg hinein ins Vergnügen. Die Gage war relativ gut, wir hatten Essen und Trinken frei. Aber am Ende hatten wir unser Fress- und Saufkontingent um ein Vielfaches überschritten, sodass ich meine komplette Plattensammlung dalassen musste. Und so ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass noch heute einige von meinen Platten da herumschwirren. Von Richie Valens' »La Bamba« über James Browns »Sex Machine« bis hin zu »Skinny Minny« von Tony Sheridan.


Peter Meisels frühere Mahnung, ich solle einmal in den Spiegel gucken, hatte Spuren hinterlassen. Für die ich ihm eigentlich den Arsch küssen müsste, nachträglich. Auch wenn ich ihm damals am liebsten den Kopf abgerissen hätte, hatte er mir doch unbewusst den richtigen Kick verpasst.
Klar: Ich seh' nicht aus wie Howard Carpendale! Ich singe nicht für Friseurinnen, nicht für Schuhverkäuferinnen, nicht für kleine süße Sekretärinnen
und Krankenschwestern. Meine Songs mussten anders sein. Gefällige Liebeslieder konnte ich mir nicht leisten. Und das Gute war: Das wollte ich auch gar nicht! Howie sang Lieder für Frauen, ich wollte Lieder für Männer singen. Lieder, mit denen ich mich identifizieren konnte. Lieder über wahre Männer. Als ich seinerzeit den Hof von Frau Röttger bewachte, lernte ich einige wirklich kernige Typen kennen. Allesamt Lastwagenfahrer.
Wer weiß, hätte es mit der Musik nicht geklappt, wäre ich vielleicht selbst ein Trucker geworden, zumindest für eine Weile. Mich faszinierte damals die romantische Vorstellung von der Freiheit auf dem Asphalt, von den Königen der Straße. Inzwischen aber wusste ich: Mit der Freiheit ist es nicht wirklich weit her. Es gibt wohl wenige Jobs, in denen man mehr unter Druck steht – und mehr vereinsamt, weil man so gut wie nie zu Hause ist.
Und schon hatte ich ein super Thema.

 

Er fährt 'n 30-Tonner-Diesel und ist die meiste Zeit auf Tour,
und er gibt dabei sein Bestes, Tag für Tag rund um die Uhr.
Und er fährt seit Jahr und Tag schon immer Hamburg – Lissabon,
und jeden Parkplatz, jedes Rasthaus, jeden Tankwart kennt er schon.
Er ist ein Kerl, ein ganzer Mann, und sein Zuhause ist die Autobahn.
(Aus: Er ist ein Kerl, 1972)


Ich liebte diesen Song. Aber ob er auch abgehen würde, wusste ich natürlich nicht – es gab ja nichts Vergleichbares. Die Jungs bei Hansa wussten dagegen Bescheid. Selbstverständlich. »Nicht hittauglich«, hieß es, »eine Single kommt gar nicht in Frage«. Wenigstens konnte ich mich soweit durchsetzen, dass »30-Tonner-Diesel« eine B-Seite wurde. Auf die A-Seite kam »Das ist meine Art zu leben«, ein Lied, das Frank Zander und ich verbrochen hatten. Es war als mein nächster Hit geplant. Wurde aber keiner. Es passierte nämlich etwas ganz Verrücktes: Die Diskjockeys in den Radiostationen und Diskotheken spielten die B-Seite. Und das war wirklich mein Durchbruch.

Es war an der Autobahnraststätte Bad Eilsen, als ich das zum ersten Mal realisierte. Ich wollte gerade bezahlen, da erhob sich ganz langsam ein Typ vom Tisch, kam auf mich zu, knallte mir seine Pranke auf die Schulter und rammte mich beinahe in den Keller. Er sagte: »Der .30-Tonner-Diesel‹ ist der gottverdammt noch mal beste Song, den ich je gehört habe!«

Instinktiv umarmte ich diesen fremden Mann. Ein Trucker, wie mein Held in dem Song. Ich holte meine Gitarre aus dem Kofferraum und spielte ihm und seinen Kollegen, die inzwischen aufgetaucht waren, den Song live. Es war vielleicht neun oder zehn Uhr abends. Aber ich spielte, bis es hell wurde. Wir tranken Stonsdorfer aus den kleinen Flaschen, Persiko und Jägermeister. Und Underberg. Und Dornkaat. Wir tranken die ganze Bude leer. Und ich schlief den ganzen darauffolgenden Tag auf dem Rücksitz meines Wagens.


In den nächsten Tagen flog ich für einen Auftritt in der »Aktuellen Schaubude« nach Hamburg. Dort winkte mich ein Taxifahrer ran, drehte die Scheibe runter und sagte: »Guter Junge!«. Sonst nichts. Aber das reichte. So fühlte er sich also an, der Zauber des Ruhms. Von diesem Tag an sprachen mich wildfremde Leute auf der Straße an, klopften mir auf die Schulter, wollten mich umarmen oder einfach nur die Hand schütteln. Und das ist bis heute so geblieben. Manche Männer weinen sogar, wenn sie mich sehen, an Tankstellen oder irgendwo an der Mosel oder wie neulich in Wien oder auf dem Ku'Damm in Berlin. Bis heute ist der zwischenmenschliche Kontakt mit den einfachen Leuten das Schönste an meinem Job. Vielleicht weil ich selbst ein einfacher Junge bin.


FOTO: 2005 »Er fährt 'n 30-Tonner-Diesel« mit Gabriel-Airbrush

 

Weitere Informationen zu den edel-edition Veröffentlichungen findet Ihr unter: http://www.edel-edition.de.

 

Quelle: Oliver Scheer - s²marketing - http://www.s2marketing.de - 19.10.2009

 

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